Kann man nun die Resultate vom 15. Mai in einem längerfristigeren Zusammenhang sehen? Ich versuche es mal, mit Kaffeesatzlesen am regnerischen Abend im Kaffeehaus. Seit Ende der 80er Jahre gibt es in Sachen Steuern nur eine Politik: Senken wo es geht, und vor allem für Reiche und Unternehmen. Nicht nur in der Schweiz, weltweit war diese Politik erfolgreich, geschmiert mit gigantischen Propagandamitteln. Im Kanton Zürich haben die bürgerlichen Parteien es dreimal versucht, mit Steuersenkungen für hohe Einkommen (Abschaffung der obersten Progressionsstufe, derm «13er»). Zweimal sind sie im Kantonsrat gescheitert, und nun an der Urne.
Damit ist nun definitiv Sand in das Getriebe der Steuersenkungsmaschinerie geraten. Vielleicht erleben wir im Moment eine Trendwende und die «Begeisterung» für den Steuerwettbewerb ist mittlerweile vorbei, und in Zukunft werden es Steuersenkungsvorlagen, für wen auch immer, sehr schwer haben. Zu dieser Trendwende tragen übrigens die hohe Staatsverschuldungen in Europa genauso bei wie die Debatten über Migration, Personenfreizügigkeit etc.
Das zweite Kaffeesatzlesen ausgehend von einer Abstimmungsvorlage: Die Kürzung der Krankenkassenprämienverbilligung zeigt, das es trotz der beschriebenen Trendwende nun nicht plötzlich eine Politik für mehr sozialen Zusammenhalt, für Investitionen in die Gesellschaft gibt. Es ist vielmehr eine Politik à la «schwäbischer Hausfrau»: Sparen wo es geht, Steuergelder anhäufen, Verzichten auf Investitionen. Diese Politik ist kurzfristig einfach kommunizierbar und wohl populär, langfristig aber schädlich. Investitionen zurückhalten ist schlicht dumm. Solange die Schweizer Politik aber einen Horizont von maximal einigen Monaten hat, wird sich daran aber nichts ändern.
Und noch der dritte und letzte Kaffeesatz: Die Abstimmung über Mundart im Kindergarten ist Zeichen eines Rückzuges in ein geistiges Réduit, das in der globalisierten Welt gar nicht mehr existiert. Aber man versucht sich dort noch heimelige Nischen zu schaffen, wo es irgendwie geht, unabhängig davon ob es nun sinnvoll ist oder nicht. Solange es die Linke nicht schafft, eine Heimat zu schaffen die gleichzeitig sicher, «heimelig», freiheitlich und weltoffen ist, wird man, und das ist der neue Trend für die nächsten zehn Jahre, noch viele solche Vorlagen sehen.