Die Wintersession ist vorbei – eine Zeit voller Herausforderungen, aber auch mit positiven Ergebnissen. Eure Ratsmitglieder berichten, was in den letzten drei Wochen im Bundeshaus geschah.
Stahl Gerlafingen gerettet!
von Mattea Meyer
Die Schweizer Stahlindustrie ist wirtschaftlich angeschlagen, Arbeitsplätze sind in Gefahr. Gleichzeitig ist diese CO2-intensive Branche zentral für die Energiewende und die Versorgungssicherheit in der Schweiz. Die Stahl Gerlafingen schliesst als einziges Werk der Schweiz den Kreislauf von Stahlschrott zu Baustahl und produziert mit vergleichsweise geringen Emissionen. Die SP steht deshalb seit Monaten gemeinsam mit den Gewerkschaften hinter den Arbeiter:innen der angeschlagenen Stahlwerke, um ihre Arbeitsplätze zu retten und die Versorgungssicherheit zu garantieren. Eine Schliessung der Stahlfabrik wäre eine Katastrophe für die Angestellten und die Energiewende. Dank eines SP-Vorstosses im Parlament konnte diese Schliessung nun verhindert werden!
Radikaler Angriff auf die humanitäre Tradition
von Fabian Molina
Nach einem regelrechten Krimi endete die Session mit einem Kahlschlag von 110 Millionen Franken bei der Entwicklungszusammenarbeit fürs nächste Jahr und einer weiteren Kürzung von 151 Millionen für die nächsten vier Jahre. Diese Entscheide haben direkten Einfluss auf den Zugang zu Nahrung und Bildung in den ärmsten Ländern und werden Menschenleben kosten, wie ich in der Debatte erklärt habe. Wir werden alles daran setzen, dass diese Entscheide im nächsten Jahr rückgängig gemacht werden.
Einen kleinen, aber für die Betroffenen sehr wichtigen Erfolg konnten wir im Nationalrat verbuchen: Der Völkermord ab 2014 in Shengal, Irak, verübt durch den Islamischen Staat am jesidischen Volk, wurde als solcher anerkannt. Für die Opfer dieser fürchterlichen Gräueltaten ein Beitrag zur Gerechtigkeit.
Während der ganzen Session warteten wir gespannt auf den Entscheid des Bundesrats zum Ende der Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen mit der EU. Für uns ist klar: Die Schweiz muss den bilateralen Weg stabilisieren und über neue Abkommen vertiefen. Das ist nicht nur wichtig für unseren Wohlstand und unsere Sicherheit, sondern auch ein Beitrag zur europäischen Solidarität. Nach dem Ende der Verhandlungen liegt der Ball jetzt bei den Parteien und Verbänden, um ein tragfähiges Gesamtpaket zu schnüren.
SVP-Angriff auf Flüchtlingsfamilien gestoppt
von Céline Widmer
Kurz vor Ende der Session haben wir uns mit Tränen in den Augen umarmt – Tränen der Freude und Erleichterung. Bis zum Schluss haben wir gezittert, doch dann korrigierte der Ständerat den unmenschlichen Entscheid des Nationalrats, der Kriegsflüchtlingen den Familiennachzug verbieten wollte. Dies wäre nicht nur ein Bruch mit der humanitären Tradition der Schweiz gewesen, sondern hätte auch gegen die Bundesverfassung und das Völkerrecht verstossen. Wir haben uns mit aller Kraft gegen diesen Entscheid gewehrt, und fast 140’000 Menschen haben unseren Appell in kürzester Zeit unterzeichnet. Das zeigte Wirkung: Die SVP-Motion ist nun endgültig vom Tisch!
Trotz diesem wichtigen Erfolg bleibt es leider ein einzelner Lichtblick in der Asylpolitik, die weiterhin von der SVP dominiert wird. Die geschlossene FDP und sogar Vertreter:innen der Mitte unterstützen nahezu alle asylpolitischen Verschärfungsforderungen der Rechtspopulisten. Deshalb überwies der Rat zu Beginn der Wintersession eine SVP-Motion, welche den Schutzstatus S einschränken will. Nur noch Menschen aus besonders umkämpften Gebieten der Ukraine sollen bei uns Schutz erhalten. Das ist ein unglaublich unsolidarisches Zeichen an die Ukraine und aussenpolitisch ein fatales Signal.
PUK-Bericht zur CS-Krise
von Mattea Meyer
Der riesige Filz zwischen rechten Politiker:innen und der Banken hat zum CS-Debakel im März 2022 geführt. In den letzten 1.5 Jahren hat eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) versucht herauszufinden, wie es so weit kommen konnte. Bezeichnend dafür steht in ihrem Abschlussbericht folgender Satz: «In der Politik (…) machte sich vermehrt Widerstand gegen eine strengere Bankenregulierung bemerkbar. Als sich im Herbst 2022 und dann im Frühjahr 2023 die CS Krise akzentuierte, fehlten den Schweizer Behörden wichtige Instrumente.»
Diese fehlen nach wie vor. Obwohl sie dringend nötig wären, denn die jetzige XXL-UBS setzt die Schweizer Steuerzahler:innen einem nie dagewesenen Risiko aus. Für uns braucht es nun drei Dinge:
- Ein Ende der Abzockerei mit einem Boni-Verbot und einer Abgeltung der indirekten Staatsgarantie
- Schluss mit dem Filz mit einem Verbot von Banken-Mandaten für Parlamentarier:innen und einem Verbot der Parteienfinanzierung durch die UBS
- Risiko der XXL-UBS verkleinern mit höheren Eigenkapitalvorschriften und einer Stärkung der FINMA
Budget: Einsparungen mit Konsequenzen
von Priska Seiler Graf
Die finanzpolitische Lage bleibt angespannt: Gemäss bürgerlicher Auffassung sollen die Armeeausgaben schneller steigen, als vom Bundesrat vorgesehen. Gleichzeitig sind massive Sparmassnahmen notwendig, um die Schuldenbremse einzuhalten.
Das Parlament ist wild entschlossen, der Armee im kommenden Jahr 530 Millionen Franken mehr zu gewähren als vom Bundesrat vorgeschlagen, damit 2032 1% des BIP für die Armee erreicht werden – und nicht erst 2030. Mit erhöhter Sicherheit hat das allerdings wenig zu tun. Einerseits fehlen beschaffungsreife Projekte, andererseits bleibt eine Priorisierung der dringendsten Bedrohungsszenarien aus. Diese liegen hauptsächlich im Bereich des Luftraumschutzes sowie der Drohnen- und Cyberabwehr. Russische Panzer, so der Bundesrat, werden kaum am Rhein stehen.
Diese unausgewogene Politik hat Konsequenzen: Einsparungen erfolgen an anderer Stelle – nur nicht in der Landwirtschaft. Besonders betroffen ist die Internationale Zusammenarbeit (IZA), die 2025 um 110 Millionen Franken gekürzt werden soll. Hinzu kommen Einsparungen beim Bundespersonal (-70 Millionen) und im Asylbereich (-185 Millionen). Die SP lehnt diese unverantwortliche Finanzpolitik ab, sah sich aber gezwungen, dem Antrag der Einigungskonferenz zähneknirschend zuzustimmen, da andernfalls noch tiefere Beträge gegolten hätten.
E-ID: Gelungene Neuauflage
von Min Li Marti
Am 7. März 2021 stimmte die Schweizer Stimmbevölkerung über die Einführung eines elektronischen Identitätsnachweises (E-ID) ab und lehnte die Vorlage ab. Die SP unterstützte damals das Referendum und vertrat die Nein-Parole, da die damalige Vorlage vorsah, dass die E-ID von privaten Anbietern herausgegeben wird. Der Identitätsnachweis ist jedoch eine hoheitliche Aufgabe und sollte nicht gewinnorientierten Privaten überlassen werden. Direkt nach der Abstimmung reichten Gerhard Andrey (Grüne), Simon Stadler (Mitte), Marcel Dobler (FDP), Jörg Mäder (GLP), Franz Grüter (SVP) und ich eine Motion für die Schaffung einer vertrauenswürdigen staatlichen E-ID ein, damit schnell eine neue Lösung gefunden werden konnte. Diese liegt nun vor und stellt auch in datenschutzrechtlicher Hinsicht eine wesentlich bessere Lösung dar.
Intensive Frühintervention als Gamechanger für die Chancengleichheit
von Islam Alijaj
Die Intensive Frühintervention (IFI) bei Autismus-Spektrum-Störungen ist ein entscheidender Schritt hin zu mehr Chancengleichheit. Durch frühzeitige Unterstützung können Kinder ihr Potenzial besser entfalten, praktische Fähigkeiten entwickeln und mehr Selbstständigkeit erlangen, wodurch viele mit Autismus verbundene geistige Einschränkungen vermieden werden können. Derzeit erfolgt die Übernahme der IFI provisorisch über Vereinbarungen zwischen der IV und den Einrichtungen, die diese Intervention in der Schweiz anbieten. Seit 2019 ist IFI Bestandteil eines Pilotversuchs, um zentrale Punkte und die Finanzierung zu klären. Um die laut Bundesrat wirksame Intervention auch langfristig zu sichern, soll sie nun unbefristet im IVG verankert werden. Der Nationalrat hat dieser Änderung bereits zugestimmt, und nun bleibt zu hoffen, dass auch der Ständerat den Entwurf unterstützt.
Kita-Gesetz: Ständerat verabschiedet Schmalspurvariante
von Min Li Marti
Für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie braucht es bezahlbare und qualitativ hochwertige ausserfamiliäre Kinderbetreuung. Heute ist das Angebot nicht in allen Kantonen vorhanden, und die Kinderbetreuung ist häufig für Eltern sehr teuer. Aus diesem Grund hat die SP eine Kita-Initiative lanciert und der Nationalrat ein Kita-Gesetz beschlossen, das eine substanzielle Investition in die Kinderbetreuung bedeutet hätte. Der Ständerat hat die nationalrätliche Vorlage jedoch umgearbeitet: Statt Bundesbeiträge soll jetzt eine Betreuungszulage ausgerichtet werden, die durch Lohnprozente finanziert wird. Auch dies würde zu einer Verringerung der Elternbeiträge führen. Leider wurden gleichzeitig alle Programmvereinbarungen zu Qualität, Frühförderung und Angeboten für Kinder mit Beeinträchtigungen gestrichen. Der Bund würde sich somit aus der Finanzierung der Kinderbetreuung zurückziehen. Das ist aus Sicht der SP klar ungenügend. Wir werden im Nationalrat nochmals versuchen, hier nachzubessern.
Wichtige, aber teils unzureichende Änderungen in der EL-Finanzierung
von Islam Alijaj
In der letzten Sessionswoche beschloss der Nationalrat erfreuliche Änderungen im Bereich der Ergänzungsleistungs-Finanzierung (EL). So wurde beispielsweise einer national geregelten EL-Finanzierung zugestimmt, die älteren Menschen mehr finanzielle Unterstützung für die Betreuung zu Hause bieten würde. Diese Vorlage geht nun in den Ständerat. Ein Minderheitsantrag von linker Seite, der vorschlug, dass Menschen mit Behinderungen und ältere Menschen ihre Betreuung oder Leistungsanbieter selbstbestimmt wählen können, wurde jedoch leider vom Nationalrat abgelehnt.
Ein langer Prozess: Systemwechsel bei der Wohneigentumsbesteuerung
von Jacqueline Badran
Die grosse Kiste der Wintersession: Nach 7 Jahren des Prozesses liegt nun ein Gesetz über den Systemwechsel bei der Wohneigentumsbesteuerung vor. Die Vorlage ist hochkomplex und hat alle Aspekte eines Vorschlags eines Parlaments mit rechtsbürgerlicher Mehrheit. Das zeigt sich daran, dass das Bundesgesetz Steuerausfälle in der Höhe von 2 Milliarden Franken zur Folge haben würde. Es leuchtet ein, dass diese Steuerentlastungen denjenigen Menschen zugutekommen wird, welche zu den privilegiertesten Wohneigentümer:innen gehören. Ob dieser Systemwechsel das kleinste Übel oder ein unfairer Kuhhandel ist, muss an anderer Stelle ausführlich diskutiert werden. Nur so viel in Kürze: Eine derartige Umverteilung von unten nach oben wird die SP keinesfalls hinnehmen.
Aufrufe zu Hass und Gewalt gegen Frauen sind kein Kavaliersdelikt
von Min Li Marti
Hassrede, Vergewaltigungsdrohungen, Beschimpfungen – für Frauen ist dies leider insbesondere im digitalen Raum eine unangenehme Realität. Heute sind Aufrufe zu Hass und Gewalt aus rassistischen, antisemitischen, ausländerfeindlichen oder homophoben Gründen verboten. Nicht Teil der sogenannten „Anti-Rassismus-Strafnorm“ ist jedoch das Geschlecht. Deshalb haben Marianne Binder (Mitte), Jacqueline de Quattro (FDP), Sibel Arslan (Grüne), Kathrin Bertschy (GLP), Lilian Studer (EVP) und ich gleichlautende Vorstösse eingereicht, um diese Strafnorm um das Kriterium „Geschlecht“ zu erweitern. Damit würden Aufrufe zu Hass und Gewalt aufgrund des Geschlechts oder der Geschlechtsidentität ebenfalls unter Strafe gestellt. Der Ständerat hat diesen parlamentarischen Initiativen zugestimmt, obwohl die vorberatende Kommission noch die Ablehnung empfohlen hatte. Alle Frauen im Ständerat stimmten zu und verhalfen der überparteilichen Frauenallianz so zum Erfolg. Jetzt hat die Rechtskommission des Nationalrats den Auftrag, das Gesetz anzupassen.
Kurze good news zum Schluss
- Der Bundesrat will Nazisymbole verbieten: Nachdem der Ständerat vor einem Jahr einer entsprechenden Motion zugestimmt hat, wurde ein solches Gesetz am letzten Freitag in die Vernehmlassung gegeben.
- Brustkrebs-Überlebende sollen besser unterstützt werden: Die Tarife für die Tätowierung des Brustwarzenhofs werden überarbeitet, sodass Betroffene künftig weniger selbst zahlen müssen.
- Linda De Ventura (SP SH) und Meret Schneider (Grüne ZH) rückten im Nationalrat nach – zwei junge, linke Frauen. Herzlich willkommen!
- Nachdem die Journalismusbranche letztes Jahr Jacqueline Badran zur Kolumnistin des Jahres gekürt hat, wurde es dieses Jahr Anna Rosenwasser mit ihrer Republik-Kolumne. Juhu!
Ihr seht: Katastrophale Entscheidungen und erfreuliche Fortschritte passieren gleichzeitig. Das gilt es auszuhalten. Nun steigen wir aber erstmal in der Zug nach Zürich, in Richtung Festtage.