Liebe Genossinnen und Genossen
Am 22. Februar wurden Andi Daurù und ich Co-PräsidentInnen der SP Kanton Zürich – auf Zeit, versteht sich. Weder ihr noch wir wurden gross gefragt, ob wir das wollen. Für Vorbereitung blieb keine Zeit. Nicht mal beschnuppern konnten wir uns. Wir wurden euch einfach vor die Nase gesetzt.
Für das Vertrauen, das ihr uns entgegengebracht habt, möchten wir hier und heute vor allem eines: danke sagen. Wir sehen es gewiss nicht als Selbstverständlichkeit an, euer Vertrauen bekommen zu haben. Wir können euch versichern: wir haben alles gegeben – was nicht heissen soll, dass wir alles perfekt gemacht haben. Sicherlich konnten wir es nicht immer allen recht machen. Und uns sind vielleicht auch gewisse Sachen nicht so gelungen, wie ihr euch das gewünscht habt. Wenn ihr euch nicht mal geärgert oder euch wenigstens mal genervt habt, dann seid ihr sehr verständnisvolle Menschen. Wenn ihr es gemacht habt, dann seid ihr willkommene kritische Geister. In der SP braucht es Beides.
Politik spielt sich nicht nur im Kopf ab
Oder anders gesagt: in der Politik bringt jede von uns etwas Anderes auf die Palme. Wie auch jeden von uns etwas Anderes jubeln lässt. Politik ist halt nicht nur etwas, das sich im Kopf abspielt. Politik braucht nicht nur den Kopf, sondern auch das Herz – dort stecken die Emotionen. Einmal mehr ist es die gute Mischung die es ausmacht – wie bei einem guten gespritzten Weissen. Ist er zu verwässert, denkt sich der Kopf, hier bestelle ich keinen Zweiten. Ist er zu stark, denkt der Kopf gar nicht mehr. Auch wenn die Grosszügigkeit der Apéromeisterin zu loben wäre.
Auf Grosszügigkeit sollten wir sowieso mehr achtgeben. In einer Welt, in der grosse Lügen grosse Ängste produzieren, die grosse Gewinne für starke Männer abwerfen, wie es Roger Cohen in der New York Times schrieb, braucht es dringend mehr Grosszügigkeit.
Ein würdevolles Leben für alle
Was mir dabei einfach nicht in den Kopf will: auf einem Kontinent, auf dem 500 Millionen Menschen leben, ist es doch nicht zu viel verlangt, ein, zwei oder drei Millionen schutzbedürftige Menschen aufzunehmen. Ein Dorf mit 500 EinwohnerInnen kann doch auch ein, zwei oder drei schutzbedürftige Personen aufnehmen. In einer Zeit, in der der Friss-oder-stirb-Individualismus herrscht, in der das Glück auf einige wenige herabregnet, die gleichzeitig aber auch Tausende tötet und Millionen ignoriert, braucht es Grosszügigkeit. Grosszügigkeit gegenüber schutzbedürftigen Menschen. Denn diese Menschen suchen dasselbe wie wir alle: ein würdevolles Leben.
Heute erweist uns die Sans-Papiers-Anlaufstelle (SPAZ) die Ehre. Eine Organisation, die sich für die unsichtbaren Menschen in unserer Gesellschaft einsetzt. In Zürich leben schätzungsweise 28’000 Sans Papiers. Rund ein Zehntel davon sind Kinder. Diese Kinder sieht man nicht auf Spielplätzen und anderen öffentlichen Plätzen. Zu gross ist die Angst der Eltern, dass sie auffliegen.
Operation Papyrus – eine pragmatische Lösung
Vor ein paar Wochen reichten Sibylle Marti, Michèle Dünki und Thomas Marthaler eine Interpellation ein zum Thema Regularisierung von Sans Papiers im Kanton Zürich. Gleichzeitig lancierte die SPAZ eine Petition namens Operation Papyrus. Operation Papyrus ist ein umfassendes Programm zur Regularisierung von Sans Papiers und zur Eindämmung der Schwarzarbeit. Die Operation Papyrus wurde auf Wunsch der Genfer Regierung und in Zusammenarbeit mit dem Staatssekretariat für Migration in Genf durchgeführt. In Genf haben im Rahmen der Operation Papyrus 590 Personen eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Wer schon zehn Jahre ununterbrochen hier gelebt hat, für Familien mit schulpflichtigen Kindern sind es acht Jahre, zudem eine Landessprache spricht, nicht vorbestraft ist und einen guten finanziellen Leumund hat, kann ein Gesuch stellen. Das ist nicht mehr und nicht weniger als eine praktische und pragmatische Lösung.
Chantal Galladé, Daniel Jositsch und ich haben deshalb einen offenen Brief an die Zürcher Regierung geschrieben, mit der Bitte, die Operation Papyrus für Zürich ins Auge zu fassen. Wir sind der Ansicht, dass wir den Status der Illegalen regularisieren sollten, anstatt so zu tun, als existierten sie nicht. Die Zürcher Regierung sieht das anders, wie aus der kürzlich eingetroffenen Antwort auf die Interpellation von Sibylle, Michèle und Thomas rauszulesen ist. Lassen wir es mal so stehen: die meisten politische Veränderungen brauchten mehrere Anläufe.
Die Anderen haben zwar die Kohle, wir aber haben die Menschen!
Ich komme zum Schluss. Andi und ich sind nicht von der Sorte „grossi Schnure und nüt dehinter“, sondern eher die Sorte „wir wollen von den Profis lernen“. Und die Profis seid Ihr.
Liebe Genossinnen und Genossen, ihr habt Hochs und Tiefs der Sozialdemokratie miterlebt. Je nach Alter mehr oder weniger. Je nach Parteifunktion heftiger oder sanfter. Ihr seid die Profis in eurer Sektion: in der Stadt oder auf dem Land, im Parlamentsgebäude oder auf der Strasse. Ohne euch wäre die SP Zürich nicht das, was sie heute ist. Darum ziehen wir den Hut vor euch. Für euren unermüdlichen Einsatz für eine Politik für alle statt für wenige. Für all die Freiwilligenarbeit, die ihr geleistet habt und noch leisten werdet. Die Anderen haben zwar die Kohle, wir aber haben die Menschen!
Apropos Menschen. Zwei Menschen möchte ich an dieser Stelle besonders danken. Mein persönlicher Dank geht einerseits an dich, lieber Andi. Ich danke dir für die unverbesserliche Zusammenarbeit und ich freue mich, mit dir schon bald auf die vergangenen drei Monate anzustossen.
Eine ausgezeichnete Wahl
Und mein zweiter persönlicher Dank geht an das Seki-Team und insbesondere an dich, liebe Andrea. Danke, dass du uns tagtäglich und rund um die Uhr mit deiner bärengrossen Erfahrung und immer wieder auch einer Prise Humor unterstützt hast. Ohne dich und ohne das Team auf dem Sekretariat wären wir nur halb so gut und wir hätten auch nur halb soviel gelacht.
So. Heute Abend sind wir alle aus demselben Grund hier – die Wahl des neuen Co-Präsidiums steht auf der Traktandenliste. Und dank der Findungskommission, die nicht nur Wort gehalten, sondern auch sehr gute Vorarbeit geleistet hat, haben wir, wenn ihr mich fragt, eine ausgezeichnete Wahl. Liebe Priska, lieber Andi: meine Stimme habt ihr auf sicher und nach so einem erfolgreichen Abstimmungssonntag wie gestern übergebe ich die Partei gerne in fähige neue Hände.
Und uns lieben Genossinnen und Genossen wünsche ich jetzt einen schönen ausserordentlichen Parteitag.