Unter der Leitung von Annette Grieder-Martens und Markus Annaheim erarbeitete die Kommission ein umfassendes Grundlagenpapier, das mit den Sektionen diskutiert und einem breiten Vernehmlassungsverfahren unterzogen wurde. Die in diesem Vernehmlassungsverfahren erhobenen Änderungsanträge wurden zum allergrössten Teil anschliessend von der Kommission übernommen und in das Papier eingearbeitet, bestimmt mit ein Grund dafür, dass das Papier an der Delegiertenversammlung auf so einhellige Zustimmung stiess. Doch was steht denn nun eigentlich drin?
Das Papier formuliert einleitend einige Grundsätze sozialdemokratischer Geschlechterpolitik. Als Vision strebt sie die Auflösung jeglicher gesellschaftlicher Vorgaben von Geschlechterrollen an. Sie will nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine tatsächliche, umfassende und gelebte Gleichwertigkeit aller Geschlechter. Eine geschlechtergerechte Gesellschaft öffnet allen Menschen einen Weg, den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, ohne sich selbst oder andere Menschen auszubeuten. Damit sind die zwei Stossrichtungen des Papiers vorgegeben: Es will erstens die Perspektiven und Lebenslagen aller Geschlechter gleichwertig berücksichtigen und verlangt dabei auch von allen, Privilegien und Kosten der eigenen Geschlechterrolle offenzulegen und an der Veränderung der Geschlechterverhältnisse mitzuwirken. Zweitens stellt es klar, dass es ohne Geschlechtergerechtigkeit keine soziale Gerechtigkeit geben kann, es kritisiert die bestehende Geschlechterordnung als Ausdruck einer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung, die zum Beispiel den Männern die wirtschaftliche und politische, den Frauen die erzieherische und häusliche Macht zuteilt.
Anschliessend konkretisiert das Papier diese Grundsätze in den vier Kapiteln Bildung, Arbeit, Beziehungen und Lebensformen sowie Mensch und Gesellschaft. Aus Platzgründen greife ich hier einfach aus jedem Kapitel ein, zwei Forderungen heraus. Das Ziel einer sozialdemokratischen Bildungspolitik muss aus Geschlechterperspektive sein, allen jungen Menschen in ihrer Lebensgestaltung die volle Wahlfreiheit hinsichtilich individueller Rollen-, Familien- und Lebensmodellle ermöglichen. Das beginnt mit der Vermittlung einer breiten Palette von Lebens- und Rollenmodellen auf allen Lernstufen, bedingt weiter einen werteneutralen Zugang zu Informationen über alle Berufsfelder und endet nicht zuletzt auch bei der Forderung an Bildungsinstitutionen, ihre Strukturen regelmässig auf den Geschlechteranteil und Geschlechterstereotypen zu überprüfen. Auf dass technikbegeisterte Mädchen nicht entmutigt und Jungs, die gerne Kindergärtner werden wollen, nicht ausgegrenzt werden.
Das Kapitel Arbeit wartet erstmal mit ganz viel Zahlenmaterial auf. In der Schweiz wurde im Jahr 2013 unbezahlte Arbeit im Wert von rund 401 Milliarden Franken verrichtet. 62 Prozent dieses Arbeitsvolumens übernehmen Frauen, 62 Prozent des bezahlten Arbeitsvolumens die Männer. Sobald Kinder da sind, arbeiten nur noch 17 Prozent der Frauen Vollzeit, bei den Männern sind es 86 Prozent – dies zeigen Zahlen aus dem Jahr 2014. Und weiterhin ist der seit 1981 verfassungsmässig garantierte Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit nicht verwirklicht. Als Antwort einer sozialdemokratischen Geschlechterpolitik auf solche Missstände nennt das Positionspapier ein ganzes Bündel von Forderungen, darunter eine bezahlte Elternzeit für alle mit wirksamen Anreizen zur Partizipation der Elternteile, Schaffung von Teilzeitstellen für alle und auf allen Hierarchiestufen und eine jährliche Reduktion der Lohnungleichheiten um 2 Prozent als Ziel.
Im Kapitel Beziehungen und Lebensformen wird die Gleichberechtigung von allen Menschen, unabhängig von der Geschlechtsidentität und der gewählten Lebens- und Familienform, eingefordert. Darunter fallen ein weitestmöglicher Verzicht auf die Zuordnung zu einem Geschlecht auf rechtlicher Ebene und die möglichst unkomplizierte Änderung dieser Zuordnung. Aber auch die Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare und gleiche Rechte für alle Familien unabhängig von der gewählten Beziehungsform und vom Geschlecht der Eltern.
Eine breites Themenspektrum wird im letzten Kapitel des Positionspapiers, Mensch und Gesellschaft, angesprochen. Besonders wichtige sind mir hier die Positionen zur Sexarbeit oder zur Migration, die klar das Recht auf Selbstbestimmung, den Schutz vor Gewalt und Übergriffen sowie den Kampf gegen prekäre Aufenthalts- und Arbeitsbedingungen im Zentrum stellen.
Die SP Kanton Zürich nimmt mit der Verabschiedung dieses Positionspapiers eine Pionierrolle ein. Ich hoffe auf viele Nachahmer auf nationaler Ebene.
Nathan Schocher
Mitglied der Fachkommission Geschlechterpolitik SP Kanton Zürich
Co-Präsident der AG Gleichstellung der SP Schweiz