Zwischen Ende Oktober und Anfang Dezember 2022 führte die SP Zürich eine Umfrage unter rund 4500 Zürcher Lehrpersonen durch. Das Ziel: die Sicht der Direktbetroffenen auf den Lehrpersonenmangel und mögliche Lösungsansätze in Erfahrung zu bringen. Fast 3000 Lehrpersonen aus dem ganzen Kanton nahmen an der Umfrage teil. Die aussergewöhnlich hohe Anzahl Rückmeldungen zeigt, wie sehr der Lehrpersonenmangel die Lehrkräfte beschäftigt. Die Antworten zeigen zudem, dass sich die Lehrpersonen von der Bildungsdirektion im Stich gelassen fühlen.
«Die Bildungsdirektion stellt den Lehrpersonenmangel als temporär auftretendes Phänomen dar, welches sich von selbst wieder erledigen werde. Und überhaupt sei die Lösung sehr einfach: Es müssten einfach alle Lehrpersonen ihr Stellenpensum etwas erhöhen. Ersteres ist falsch und letzteres fast schon zynisch», so Priska Seiler Graf.
Ein Systemversagen auf Kosten von Lehrpersonen, Schulleitungen und Kindern
Der Lehrpersonenmangel ist nicht einfach das Resultat einer demografischen Entwicklung. Er wurzelt in einem aus dem Gleichgewicht geratenen System, in welchem der Anspruch an Lehrpersonen und Kinder stetig wächst, die Handlungs- und Investitionsbereitschaft der Politik jedoch nicht mithält. Das funktioniert so lange, wie Lehrpersonen, Heilpädagog:innen und Schulleitungen aufgrund ihrer starken Überzeugung bereit sind, das System durch beträchtlichen Mehreinsatz zu stützen. Doch irgendwann reicht selbst die stärkste Überzeugung nicht mehr. Dann werden Pensen reduziert oder der geliebte Beruf an den Nagel gehängt.
Leidtragende dieser Entwicklung sind neben den Lehrpersonen auch die Kinder. Ihr Recht auf gute Bildung wird in Frage gestellt. Stabile Beziehungen sind durch viele Ausfälle und Wechsel bei den Lehrpersonen nicht mehr gewährleistet. Und natürlich leidet bei überlasteten Lehrpersonen auch die Unterrichtsqualität.
Nach dem Motto «zuhören und handeln» hat SP-Regierungsratskandidatin Priska Seiler Graf deshalb zusammen mit Lehrpersonen und Bildungsexpert:innen auf Grundlage der fast 3000 Rückmeldungen auf die Umfrage ein 10-Punkte-Programm gegen den Lehrpersonenmangel erarbeitet:
- Lehrpersonen(mangel) ernstnehmen: Der Lehrpersonenmangel muss in all seinen Facetten ernst genommen werden. Alles andere ist fahrlässig, gefährdet die Gesundheit der Lehrpersonen und damit die Qualität unseres Bildungssystems.
- Lehrpersonenmangel wissenschaftlich untersuchen: Ursachen und Ausmass des Lehrpersonenmangels müssen verstärkt wissenschaftlich erforscht werden. Dies ermöglicht, die Gründe, die zum Verlassen des Lehrberufs führen, zu ergründen und ihnen entsprechend begegnen zu können.
- Klassenlehrpersonen stärken: Klassenlehrpersonen leisten immer anspruchsvoller werdende Elternarbeit, führen Zeugnis- und Feedbackgespräche, kämpfen für sonderpädagogische Ressourcen für Kinder, übernehmen Aufgaben in verschiedenen Arbeitsgruppen und pädagogischen Teams und sind in der Schule erste Bezugspersonen der Kinder. Sie sind IMMER zuständig, wenn es sonst niemand ist. Darum braucht es mindestens eine Verdoppelung der anrechenbaren Zeit für Lehrpersonen mit Klassenlehrfunktion. Sonst werden sich immer mehr Lehrpersonen weigern, diese zentrale Funktion zu übernehmen.
- Administrative Entlastung: Der Aufwand, den die Lehrpersonen neben ihrem Kerngeschäft, dem Unterrichten, zu bewältigen haben, wächst stetig. Darum braucht es eine flächendeckende Einführung und Finanzierung von Schulsekretariaten, die für zielgerichtete Entlastung sorgen.
- Lektionenfaktor erhöhen: Gut vor- und nachbereiterer Unterricht, der Aktualitäten einbezieht, lebenswelt- und lehrplanbezogen ist, neue Lernmethoden berücksichtigt und den unterschiedlichen Niveaus gerecht wird, benötigt ausreichend Zeit. Wer eine hohe Qualität von Unterricht erwartet, muss auch bereit sein, die nötigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
- Flexibilität bei den Klassengrössen: Es gibt grosse Klassen, die gut funktionieren und für Lehrpersonen ohne Qualitätseinbussen zu unterrichten sind. Und es gibt kleine Klassen, die bereits höchst anspruchsvoll sind. Darum braucht es mehr Flexibilität bei den Klassengrössen, um der Zusammensetzung einer Klasse Rechnung zu tragen. Als Grundsatz soll gelten: Keine Klasse startet mit mehr als 20 Schüler:innen.
- Ausreichend sonderpädagogische Ressourcen: Herausfordernde Klassenkonstellationen verlangen den Lehrpersonen viel ab. Um allen Kindern gerecht zu werden, braucht es mehr als die aktuell vorhandenen Ressourcen – je nach Konstellation mehr Teamteaching, sonderpädagogische Ressourcen oder Schulassistenzen. Wichtig ist, dass es in allen Schulhäusern Möglichkeiten für temporäre Sofortmassnahmen gibt. Der Kanton muss die nötigen finanziellen Mittel sprechen, damit die Schulen diese Angebote schaffen können.
- Weiterbildungen fördern und anerkennen: Um die Attraktivität des Lehrberufes zu steigern, müssen berufsrelevante Weiterbildungen beispielsweise durch eine höhere Kostenbeteiligung durch den Kanton oder Weiterbildungsurlaub gefördert werden. Geprüft werden soll ausserdem, wie sich Weiterbildungen in der Lohnentwicklung widerspiegeln können.
- Praxisnähere Ausbildung: Viele Lehrpersonen fühlen sich nach absolvierter Ausbildung nicht genügend auf den Beruf vorbereitet. Bemängelt wird zum Beispiel, dass in der Ausbildung stets von idealtypischen Klassen ausgegangen wird, die nicht der Realität entsprechen. Ausserdem fokussiert sich die Ausbildung sehr stark auf das Halten einzelner Lektionen. Zum Lehrberuf gehört jedoch so vieles mehr: Elternarbeit, Umgang mit hoher Belastung, koordinative Aufgaben als Klassenlehrperson und Umgang mit schwierigen Kindern sind Herausforderungen, denen in der Ausbildung deutlich mehr Beachtung geschenkt werden muss, damit sie beim Berufseinstieg nicht zur Belastung werden. Eine mögliche Lösung stellt eine deutliche Erhöhung der im Rahmen der Ausbildung zu absolvierenden Praktika dar.
- Mehr Menschen für den Beruf begeistern: Lehrpersonen bringen – ungeachtet der diversen Schwierigkeiten – grosse Begeisterung und Motivation für ihren Beruf auf. Diese Begeisterung gilt es mittels Kampagnen sichtbar zu machen, um mehr Menschen für den Beruf zu interessieren und ein positives Bild des Lehrberufes zu vermitteln.
«Bildungsdirektorin Silvia Steiner hat den Lehrpersonenmangel verschlafen und versucht ihn nun einfach auszusitzen. Das ist ein Affront gegenüber den Lehrpersonen, aber auch gegenüber den Kindern. Es braucht in der Bildungsdirektion endlich jemanden, der hier das Heft in die Hand nimmt und die Ursachen des Problems angeht», hält Priska Seiler Graf abschliessend fest. «Genau das will ich im Regierungsrat tun.»