Das war die Herbstsession 2024

Die Herbstsession hat ihren Namen verdient – viele der Entscheide diesen Monat lassen uns Sozialdemokrat:innen frösteln. Wir berichten, welche Geschäfte der Zürcher SP-Delegation am Herzen lagen, welche uns aufregten und wo wir dranbleiben werden. Fangen wir also mit einer guten Nachricht an:

BVG: Deutliches Nein zur Rentenkürzung

Die Herbstsession war eine schwere Kost mit vielen Niederlagen. Umso erfreulicher war der Abstimmungssonntag mit dem klaren Nein zur Pensionskassen-Vorlage. Danke euch allen für euer Engagement im Abstimmungskampf! Zwei von drei Stimmberechtigten lehnten zusammen mit uns und den Gewerkschaften die Rentenkürzung ab. Das ist ein grosser Erfolg für die Kaufkraft der Bevölkerung. Was es jetzt braucht, sind Fortschritte bei den Frauenrenten, ein automatischer Teuerungsausgleich und ein Ende der Abzockerei durch Banken und Versicherungen. Dazu haben wir in der laufenden Session Vorstösse eingereicht, die bereits im Dezember im Ständerat behandelt werden.

Medienförderung: Paket nimmt erste Hürde

Vor kurzem gab die TX Group weitere Sparmassnahmen bekannt. Der Konzern will sich künftig online auf die grossen Marken konzentrieren, lokale Zeitungen wie der Landbote, die Zürichsee-Zeitung oder der Zürcher Oberländer verlieren ihren Internet-Auftritt, ihre eigenständigen Redaktionen und mittelfristig ihre Existenz. Die Medien sind überall in der Krise. Der Grund: veränderte Mediengewohnheiten und Abwanderung der Werbung auf Plattformen. Im Falle der TX Group kommt noch dazu, dass diesem Konzern die Dividenden der Aktionär:innen wichtiger sind als der Journalismus. Journalismus ist aber nicht einfach irgendein Produkt, das man problemlos auslagern oder abschaffen kann – es ist essenziell für das Funktionieren der Demokratie. Die SP hat sich in der zuständigen Kommission deshalb für ein Paket eingesetzt, das die indirekte Presseförderung erhöht, aber darauf abzielt, diese künftig durch eine kanalunabhängige Journalismusförderung zu ersetzen. Es ist nicht zukunftsfähig, nur gedruckte Presse zu fördern, aber keine Online-Medien. Dieses Paket hat jetzt die erste Hürde im Nationalrat genommen. Der einzige Wermutstropfen dabei ist, dass der Nationalrat die vollständige Streichung der Subventionierung der Stiftungs- und Mitgliedschaftspresse verlangt. Hier muss der Ständerat noch korrigieren, denn die Stiftungs- und Mitgliedschaftspresse – und damit die Stimme der Zivilgesellschaft – ist ebenfalls zentral für die Demokratie.

Die Entwicklungszusammenarbeit unter massivem Druck

Dieses Jahr behandelt das Parlament die Strategie über die Internationale Zusammenarbeit (IZA) der nächsten vier Jahre. Darin werden die Prioritäten und finanziellen Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit, die humanitäre Hilfe und die Förderung von Frieden und Menschenrechten festgelegt. Angesichts des enormen Rückstands bei der Erreichung der UNO-Entwicklungsziele und in einer Zeit, in der Hunger, Armut und Krieg wieder auf dem Vormarsch sind und die Menschenrechte weltweit unter Druck stehen, ist der Erhalt des Schweizer Beitrags zur internationalen Solidarität für uns eine absolute Priorität. Der Bundesrat beantragt dem Parlament mit der IZA-Botschaft bereits eine massive Kürzung, da unter anderem der Beitrag für den Wiederaufbau der Ukraine zu Lasten der ärmsten Länder gehen soll. Nachdem der Ständerat in der Sommersession in der Armeebotschaft eine weitere Milliarden-Kürzung beschlossen hat, waren wir schon erleichtert, dass der Ständerat in dieser Session die IZA-Botschaft praktisch unverändert verabschiedet hat. Aber weitere Kürzungen sind trotzdem nicht vom Tisch. Dies liegt am Abbauprogramm des Bundesrats, das sich auf den Bericht der Gruppe Gaillard stützt, und weil in der Budget-Debatte im Dezember weitere Kürzungen zugunsten der Armee drohen.

Armee: Gehässige, ernüchternde Debatte

Die bürgerliche Mehrheit im Parlament ist wild entschlossen, die Armeeausgaben schneller zu erhöhen, als es der Bundesrat vorsieht. Nämlich auf 1 % des BIP, und dies schon im Jahr 2030 statt «erst» 2035. Nur: Woher die dafür nötigen zusätzlichen 4 Milliarden kommen sollen, darüber ist man sich nicht einig. Die einen wollen die vier Milliarden über Kompensationen erreichen, indem man zum Beispiel das Budget der Internationalen Zusammenarbeit massiv kürzt und den Kantonsanteil an der direkten Bundessteuer senkt. Die anderen wollen einen Fonds über 10 Mrd. auflegen, so wie es ein Antrag der Mitte vorsieht. Den Betrag müsste die Armee bis 2045 zurückzahlen, es wäre also sozusagen ein zinsloses Darlehen. Diesen Vorschlag könnten wir zum Schutz anderer staatlicher Aufgaben, wie der Entwicklungszusammenarbeit, mittragen und wären dann auch bereit, die Erhöhung des Zahlungsrahmens zu akzeptieren (da die Erhöhung eh kommen wird). Nach einer gehässigen Debatte stellen wir jedoch ernüchtert fest, dass nicht einmal die Mitte an ihrem eigenen Antrag festhält – sie hat es offensichtlich gar nie ernst gemeint. Der Fonds fällt durch, das Kompensationsmodell erhält eine Mehrheit, die zusätzlichen 4 Milliarden ebenfalls. Die Armeebotschaft geht nun zurück in den Ständerat, in dieser Form wird sie kaum bestehen bleiben. Der «Showdown» ist also erst in der Wintersession.

Grossangriff auf die soziale Schweiz durch Bundesrätin Keller-Sutter

Die restriktive Schuldenbremse zwingt die Schweiz zu zwanghaftem Sparen, da sie vorsieht, dass Einnahmen und Ausgaben des Bundes im Gleichgewicht sein müssen. Dies, obwohl die Schweiz eine der tiefsten Schuldenquoten der Welt hat und obwohl Konzerne und Superreiche in den letzten Jahrzehnten steuerlich massiv entlastet wurden. Bundesrätin Keller-Sutter hat deshalb eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des ehemaligen Direktors der Finanzverwaltung, Serge Gaillard, eingesetzt. Diese Gruppe hatte den Auftrag, im Bundesbudget massiv zu kürzen. Der Bundesrat entschied während der Session, die Empfehlungen der Gruppe Gaillard fast vollständig zu übernehmen und dem Parlament massive Kürzungen bei der AHV, der Prämienverbilligung, der Kita-Finanzierung, der Entwicklungszusammenarbeit und beim Klimaschutz zu beantragen. Dieses fast 5 Milliarden schwere Abbaupaket werden wir mit aller Kraft bekämpfen.

Substanzerhalt der Bahninfrastruktur ohne konkrete Priorisierung der Barrierefreiheit

Die Schweiz ist ein Bahnland und wir sind stolz auf unsere SBB. Die SBB bekommt für den Betrieb und die Substanzerhaltung der Bahninfrastruktur vom Bund einen Beitrag. Dieser Beitrag wird in einer Leistungsvereinbarung festgelegt und jedes vierte Jahr erneuert. Für die Periode 2025-2028 wollten der Bundesrat und eine Mehrheit des Nationalrats einen Beitrag in Höhe von 16.4 Milliarden Franken für die Bahninfrastruktur ausgeben. Eine Minderheit von Mitte-Links wollte der SBB 500 Millionen Franken mehr geben, um insbesondere auch Projekte voranzutreiben, die eigentlich schon Ende 2023 infolge der Frist des Behindertengleichstellungsgesetzes hätten fertig sein sollen. Leider unterlag die Minderheit infolge einer instabilen Mitte-Fraktion, obwohl sowohl Mitte-Nationalrat Philipp Kutter als auch Islam Alijaj die Relevanz und Notwendigkeit der Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehr unterstrichen haben. Wie es mit den BehiG-Projekten weitergeht und wie sie überhaupt priorisiert werden, ist offen. Wir bleiben aber dran, diese gesetzeswidrige Situation im öffentlichen Verkehr zu beheben.

Individualbesteuerung: Zeitgemässe Version naht

Neben all den belastenden Themen konnten wir immerhin einen Erfolg für die Gleichstellung verbuchen. Nach stundenlanger Debatte war es bis zur letzten Sekunde unklar, ob sich die progressive Ratsseite – das sind neben SP die Grünen, GLP und FDP – gegenüber der konservativen – also SVP und Mitte – durchsetzen könnte. Schliesslich hat sich der Nationalrat mit 98 zu 93 Stimmen für die Umsetzung der Individualbesteuerung ausgesprochen. Das ist ein wichtiger Schritt, wie Céline Widmer in ihrem Votum für die Fraktion ausgeführt hat. Es ist schlicht nicht mehr zeitgemäss, dass nicht jede Person eine eigene Steuererklärung ausfüllt. Wir wollen endlich die falschen steuerlichen Anreize, welche Frauen vom Arbeiten abhalten, aufheben. Und es führt kein Weg daran vorbei, die Heiratsstrafe abzuschaffen. Dass die finanzielle Unabhängigkeit der Frauen gestärkt wird, ist auch ganz zentral vor dem Hintergrund der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum nachehelichen Unterhalt, die dem Prinzip der Eigenversorgung nach der Scheidung stärkeres Gewicht beimisst. Noch nicht ganz glücklich sind wir mit dem Preisschild der Reform, wir erwarten hier noch Verbesserungen, die Beratungen gehen jetzt im Ständerat weiter. Wie wichtig uns die Individualbesteuerung ist, könnt ihr auch in den fulminanten Voten von Min Li MartiFabian Molina und Anna Rosenwasser nachschauen.

Asyl: Unmenschlichkeit dank Appell vorerst abgewendet

Schockiert waren und sind wir ab dem asylpolitischen Kurs des Parlaments. Während vor ein, zwei Jahren die SVP mit ihren Extremforderungen noch alleine war, bekommen diese nun dank tatkräftiger Unterstützung von FDP und Mitte Mehrheiten. So hat der Nationalrat am letzten Dienstag mit 105 zu 74 Stimmen bei 9 Enthaltungen eine Motion überwiesen, welche den Familiennachzug für vorläufig Aufgenommene verbieten will. Das betrifft Kriegsflüchtlinge aus Ländern wie Afghanistan oder Syrien. Ihnen soll verwehrt werden, Kinder und Ehepartner:innen zu sich zu holen. Das ist nicht nur an Unmenschlichkeit kaum zu überbieten, es widerspricht auch fundamentalen Menschenrechten. Das fanden auch 120’000 Menschen, die innerhalb von nur 24 Stunden unseren Appell an den Ständerat unterzeichnet haben. Selten war ein Aufschrei der Bevölkerung so laut. Sicher haben auch viele von euch mitgeholfen, ganz herzlichen Dank! Es hat gewirkt: Der Ständerat hat tags darauf auf eine Abstimmung verzichtet und das Geschäft an die Kommission zur Vorberatung zugewiesen. Es ist klar: Die SVP will das Ende der humanitären Schweiz (siehe dazu auch das Interview von Céline Widmer gegen Blocher in der NZZ), und mit der Abschaffung des Familiennachzugs eine Rückkehr zu einem Saisonier-Statut und Schrankkindern – ein dunkles Kapitel der Schweizer Geschichte. Wir werden uns mit aller Kraft dafür einsetzen, dass das Parlament das Völkerrecht respektiert und Kriegsflüchtlinge das Recht auf Familiennachzug behalten. Die Schweiz kann und soll mehr Verantwortung für Geflüchtete übernehmen, nicht weniger.

BFI-Botschaft: Immerhin kleine Verbesserungen

Im EU-Raum steht die Schweiz an der Spitze, was Bildung, Forschung und Innovation angeht – und ausgerechnet beim wichtigsten Förderinstrument für diese Bereiche wird nun gespart. Die schädlichen Kürzungen im Bereich Bildung wurden diese Session mit einer Einigungskonferenz von Stände- und Nationalrat leicht gemildert – und doch leidet der Bildungs- und Forschungsbereich im Vergleich zu vergangenen Jahren unter diesen Kürzungen. Wir konnten uns einsetzen und einen gewissen Teil doch retten, so etwa bei der Unterstützung der ETH, bei Forschungsinformationen von nationaler Bedeutung und bei der beruflichen Standortbestimmung ViaMia. Kleine Verbesserungen wurden also erzielt, aber weit zu wenig, um wirklich auf Förderung zu setzen.

Wir schliessen die Herbstsession also mit gemischten Gefühlen ab. Eines ist sicher: Aufgeben ist keine Option. Wir kämpfen weiter für euch im Parlament für eine solidarische Welt!

Ansprechpartner:innen zu diesem Thema

Min Li Marti

Min Li Marti

Nationalrätin

Mattea Meyer

Mattea Meyer

Nationalrätin und Co-Präsidentin SP Schweiz

Céline Widmer

Céline Widmer

Nationalrätin

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