Gesundheitsversorgung nur noch für die Reichen?

Erklärung der SP-Kantonsratsfraktion vom 28. August 2023

In einem Interview in der «Sonntagszeitung» denkt Gesundheitsministerin Natalie Rickli laut über die Abschaffung der obligatorischen Krankheitsversicherung nach. Sie sieht die Einführung der obligatorischen Krankenversicherung von 1994 als Hauptproblem – und dabei insbesondere die wichtigste solidarische Errungenschaft dieser Zeit: Sie stört sich nämlich daran, dass die Grundversicherung «eine Versicherung sei, die alles bezahlt» und allen in diesem Land lebenden Menschen zugänglich gemacht wird – sogar den Asylsuchenden.

Diese Aussage können wir so nicht stehen lassen, Frau Rickli, denn in hohem Masse hat das Krankenversicherungsgesetz unserem Gesundheitssystem Solidarität und den einheitlichen Zugang zu medizinischen Leistungen gebracht. Insbesondere bei den stationären Leistungserbringer wurde bei der Einführung der neuen Spitalfinanzierung dann das Heil in mehr Wettbewerb gesucht und damit verbunden mit Verselbständigungen und Privatisierungen von Spitälern begonnen. Seitdem steigen die Gesundheitskosten und damit verbunden die Prämienlast für die Bevölkerung rasant an. Zur Entlastung der Bevölkerung fordert die SP seit Langem mehr Geld für die individuelle Prämienverbilligung IPV und hat auch die Prämienentlastungs-Initative lanciert.

Insgesamt ist das Schweizer Gesundheitssystem ein Beispiel dafür, dass weniger Staat eben nicht einfach mehr Effizienz, Qualität und tiefere Preise bringt, sondern vielfach das Gegenteil. Es mutet dann schon etwas zynisch an, wenn Frau Rickli das Beispiel des National Health Service NHS ins Feld führt, um vor Verstaatlichung des Gesundheitswesens zu warnen. Sie spricht dabei von zu vielen Streiks, langen Wartezeiten und explodierenden Kosten.

Lassen sie uns klarstellen: Die Angestellten des NHS haben erstmals im Dezember 2022 gestreikt. Der NHS ist mit seinen 1,6 Millionen Beschäftigten eine Institution in Großbritannien, die universell und kostenlos und bei der Bevölkerung enorm beliebt ist. Es waren und sind die Torries, das bürgerliche Äquivalent im Vereinigten Königreich UK, welche den NHS mit gezielter Unterfinanzierung und Reallohnkürzungen ausbluten lassen.

Gleichzeitig wurde das Gesundheitswesen in England schleichend immer mehr privaten Anbieter:innen geöffnet. Die Gesundheitsreform 2012 gab dem NHS den Rest. Die beschlossene Veränderung der Institutionen setzten Anreize zur Risikoselektion der Patienten und stehen im völligen Gegensatz zu den eigentlichen Werten des NHS. Spar- und Privatisierungspolitik dominierten ab dann den Reformprozess, nicht die bessere Versorgung der Patienten.

Diese Defizite wurden mit Mängeln im Sozialwesen und mit geringen Investitionen in die Ausstattung kombiniert, was zu überdimensionalen Wartelisten in den Krankenhäusern geführt hat, auch für die Notfallversorgung – mit Krankenwagen, die vor den Krankenhäusern stehen und darauf warten, dass die Patient:innen eingeliefert werden. Frau Rickli, das Beispiel des NHS eignet sich vor allem dafür, vor mehr Privatisierung und Wettbewerb im Gesundheitswesen zu warnen!

Von dem will Frau Rickli aber nichts wissen. Sie fordert eher, dass man den «Bürgern natürlich ein Angebot mit einem attraktiven Preis-Leistungsverhältnis vorlegen» soll. «Mit spürbar tieferen Prämien». Dann würden die Menschen auch akzeptieren, dass Leistungen, die nicht wirklich zur Grundversorgung gehören, nicht mehr bezahlt werden. Was konkret Frau Rickli damit meint, welche Leistungen nicht mehr zur Grundversorgung gehören sollen, sagt sie nicht.

Frau Rickli hat also auch nicht wirklich eine Lösung. Sie fordert aber einen Marschhalt und verweist auf die dutzenden kleinen Reformen, die aktuell hängig seien. Diese kleinen Reformen und Korrekturen sind übrigens insbesondere Reformen, welche nötig wurden um die falschen Anreize und Überversorgungen in einem verwettbewerblichten Gesundheitsmarkt notdürftig auszubremsen.

Eine grundlegende Reform finden auch wir durchaus unterstützenswert, aber sicher nicht in die Richtung, wie es unsere Gesundheitsdirektorin vorschlägt. Unser Gesundheitssystem krankt insbesondere daran, dass mit unserer Gesundheit Profit gemacht wird und die Spitäler miteinander konkurrieren. Und es ist Fakt, dass durch diesen immer höheren Kostendruck die Mitarbeiter:innen in den Spitälern krank werden und daher aus Selbstschutz, Frau Rickli, ihr Pensum reduzieren, um die hohe Belastung überhaupt aushalten zu können. Mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen sind nicht die Ursache, wie Frau Rickli behauptet, sondern die Lösung des Fachkräftemangels. Wieso bei allen Berufen eine Lohnerhöhung die Attraktivität des Berufes erhöhen soll, ausser im Pflegeberuf, ist uns ein Rätsel.

Wenn wir andere Länder als Vergleiche herziehen, schauen wir doch nach Deutschland, welches gerade aus seinen Fehlern mit der Einführung der Fallpauschalen lernt. Gesundheitsminister Lauterbach regt eine Änderungen bei der Abrechnung von medizinischen Leistungen mit einer Abkehr vom Fallpauschalen-Prinzip und eine stärkere Spezialisierung der Krankenhäuser an. Die Kliniken sollen zudem künftig 60 Prozent der Vergütung allein schon für das Vorhalten von Leistungsangeboten bekommen. Dies nimmt ökonomischen Druck weg und soll vor allem eine Entbürokratisierung bringen ( – liebe FDP, das fordert ja ihr auch immer). Ziel ist es, die Spitäler endlich aus dem ewigen Hamsterrad zu bringen.

Wo wir unserer Gesundheitsdirektorin recht geben, ist die Wichtigkeit der Prävention. Setzen wir dort an, können wir mittel- bis längerfristig kurative Ausgaben sparen. Aber dafür muss zuerst in die Prävention investiert werden. Hier freuen wir uns demnach auf gute Vorschläge und deren entsprechende Finanzierung vonseiten der Gesundheitsdirektion.

Wir werden uns weiterhin mit aller Kraft für einen starken Service Public einsetzen.

Ansprechpartner:innen zu diesem Thema

Michèle Dünki-Bättig

Michèle Dünki-Bättig

Kantonsrätin & Co-Parteipräsidentin

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