Erschwerte Temporeduktionen und weniger Lärmschutz: Das Wohlergehen von Menschen in städtischen Gebieten wurde missachtet in dieser Session. Mit der gewonnen AHV-Abstimmung hatten wir aber auch Grund zur Freude. Hier ein Überblick, was uns Zürcher Parlamentarier:innen sonst noch bewegt hat in den letzten drei Wochen – und was wir bewegen konnten.
Der Nahostkonflikt ist präsent
Die Haltung der SP zum Nahostkonflikt ist klar: Wir verurteilen die durch die Hamas und den israelischen Staat ausgeübte brutale Gewalt gegen Zivilist:innen aufs Schärfste und engagieren uns für einen Waffenstillstand und einen Friedensprozess, basierend auf einer Zwei-Staaten-Lösung (siehe Postulat von Fabian Molina). Entsprechend setzten wir uns in dieser Session auch ein: So wurde ein Postulat überwiesen, welches die Regeln gegen Terrorismusfinanzierung über die Schweiz verschärfen soll. Fabian Molina führte in seinem Votum aus, weshalb das Risiko von Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung über den Schweizer Finanzplatz nach wie vor hoch ist. Hingegen wehrten wir uns – allerdings vergebens – gegen eine SVP-Motion, die vordergründig Beiträge der Schweiz zur «Finanzierung von Terror» überprüfen will, aber eigentlich auf Einstellung der Zahlungen an die UNWRA abzielt.
In unserer Fraktionssitzung konnten wir uns, passend dazu, mit Philippe Lazzarini, dem Generalkommissar der UNRWA, über die verheerende humanitäre Lage im Gazastreifen und die wichtige Arbeit der UNRWA austauschen.
Grund zur Freude waren im Gegensatz dazu die einstimmige Annahme des von Jacqueline Badran initiierten Postulats zur Bekämpfung der aussenpolitischen Dimensionen des massiv zunehmenden Antisemitismus in der Schweiz (Jacquelines Votum). Weniger einstimmig, aber ebenfalls deutlich angenommen wurde auch eine von der SP angestossene Motion, die eine Strategie und einen Aktionsplan gegen Rassismus und Antisemitismus verlangte. Bezeichnend: Die SVP stimmt als einzige Fraktion dagegen.
Keine Doppelnamen für Kinder
Seit gut zehn Jahren ist das neue Namensrecht in Kraft. Dieses sieht eigentlich vor, dass beide Ehepartner nach der Heirat ihren Namen behalten und einen der beiden Namen als Familiennamen wählen, den dann die gemeinsamen Kinder tragen. Viele Ehewillige haben allerdings den Wunsch, sowohl den eigenen Namen zu behalten wie auch im Namen eine Verbindung mit dem Partner einzugehen sowie als Familie gleich zu heissen. Das ist nicht möglich: Einer der Partner muss den Namen aufgeben, wenn die Familie einen gemeinsamen Namen haben soll. In der Praxis ist das meistens die Frau.
Mit dieser Situation sind viele unzufrieden. Sie wünschen sich den Doppelnamen zurück, den es vor der Revision des Namensrechts noch gegeben hat. Die Rechtskommission hat daher eine Revision des Namensrechts beraten, die neben dem Doppelnamen für Eheleute neu auch die Möglichkeit eines Doppelnamens für Kinder geboten hätte, wie es auch in zahlreichen anderen europäischen Ländern möglich ist. Dies hätte das Namensrecht modernisiert und liberalisiert und die Wahlmöglichkeiten erweitert, ohne jemanden etwas wegzunehmen, wie dies auch Min Li Marti als Kommissionssprecherin ausführte.
Der bürgerlichen Mehrheit war dies zu liberal und zu modern und so beschloss der Nationalrat, die Vorlage an die Kommission zurückzuweisen mit dem Auftrag, den Doppelnamen für die Ehepaare zuzulassen aber auf die Möglichkeit bei den Kindern zu verzichten. Für die SP ist dies eine verpasste Chance und geht an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbei. So hatten auch die Zivilstandsämter die Revision befürwortet, weil sie in der Praxis immer wieder mit diesem Wunsch nach einem Doppelnamen auch für die Kinder konfrontiert werden.
Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehr
Seit dem 1. Januar 2024 herrscht eine gesetzeswidrige Situation im öffentlichen Verkehr, was die Barrierefreiheit betrifft. Ende Januar 2024 hat sich eine Gruppe von Menschen mit Behinderungen beim Hauptsitz der SBB versammelt, um friedlich zu demonstrieren. Dabei haben sie auch die Petition «öV für alle» lanciert. In wenigen Wochen haben sie über 15’000 Unterschriften für diese Petition gesammelt. Am 11. März wurde die Petition im Beisein der drei Nationalräte mit Behinderungen eingereicht. Für die Betroffenen ist klar, dass nun die Politik eine Lösung erarbeiten muss. Wir sind gespannt, wie es hier weitergeht.
Die fehlende europäische Verantwortung der Schweiz wird immer deutlicher
Während der Session verabschiedete der Bundesrat das definitive Mandat für die Verhandlungen zu den zukünftigen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU. Wir sind froh, dass nach Jahren des Stillstands Bewegung in den Prozess der europäischen Integration der Schweiz kommt. Allerdings zeigt sich beim Vorschlag des Bundesrats, dass die Schweiz auch künftig wenig ambitioniert Verantwortung für die europäische Einigung übernehmen will.
Die mangelnde Verantwortung der Schweiz für Europa zeigte sich in dieser Session auch wieder in der Ukraine-Politik. Der Nationalrat lehnte einen Vorstoss für einen Fonds zum Wiederaufbau der Ukraine ebenso ab, wie auch einen Vorschlag von Fabian Molina für einen Schuldenerlass für den ukrainischen Staatshaushalt. Stattdessen treibt Bundesrat Cassis seinen kurzfristigen Plan weiter voran, die Schweizer Unterstützung für die Ukraine auf Kosten des Budgets der Entwicklungszusammenarbeit für die ärmsten Länder der Welt zu finanzieren.
Immerhin unterstützte nach dem Nationalrat auch der Ständerat eine Motion der SP-Fraktion für den Ausbau der humanitären Minenräumung in der Ukraine. Auch gab der Ständerat als Zweitrat einer Motion Folge, die Céline Widmer zusammen mit anderen Nationalrät:innen eingereicht hatte und die den Bundesrat beauftragt, die Möglichkeit zu schaffen, russische Zentralbankgelder für Reparationen an die Ukraine zu verwenden.
Die staatliche E-ID kommt
Am 7. März 2021 haben die Schweizer Stimmberechtigten die Einführung einer E-ID, also eines elektronischen Identitätsnachweises, an der Urne abgelehnt. Auch die SP hatte das Referendum unterstützt. Der Grund war, dass diese E-ID von Privaten hätte ausgestellt werden sollen und dass Zweifel bestanden, ob der Datenschutz genügend war. Die SP hat sich aber nie grundsätzlich gegen die E-ID gestellt, sondern nur die konkrete Ausgestaltung kritisiert. Min Li Marti hat daher mit Vertretern aller anderen Parteien eine gleichlautende Motion für die Schaffung einer vertrauenswürdigen, staatlichen E-ID eingereicht.
Der Bundesrat und die Verwaltung haben aus der Abstimmungsniederlage gelernt und eine weitaus bessere Vorlage vorgelegt, bei der die Verantwortung der hoheitlichen Aufgabe klar beim Staat liegt und die auch eine Verbesserung beim Schutz der Daten und der Privatsphäre bietet. Die Kommission hat aufgrund von Hinweisen in den Anhörungen noch einige Verbesserungen vorgenommen. Für die SP ist die Vorlage und die Vorgehensweise eine Erfolgsgeschichte, wie dies Min Li Marti in ihrem Votum ausführte. Nach dem Nationalrat muss jetzt auch noch der Ständerat der Vorlage zustimmen.
Armeefinanzen
Die Armeefinanzen waren zwar kein Sessionsgeschäft, aber vor und neben der Session waren sie trotzdem ein Dauerthema. Entwarnung: Die Armee kann ihre Rechnungen bezahlen, und es gibt auch kein Finanzloch. Rein finanztechnisch macht die Armee nämlich nichts Falsches: Sie verschiebt die Auslösung der bereits bewilligten Verpflichtungskredite zeitlich weiter nach hinten, weil das Armeebudget «erst» 2035 und nicht schon 2030 auf 1% des BIP erhöht wird. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches, wie Priska Seiler Graf das auch in der Samstagsrundschau erklärt hat.
Die Bugwelle an zukünftigen Investitionen, die vor sich hergeschoben wird, ist aber schon riesig. Der Armeechef schreit deswegen bei jeder Gelegenheit Alarm und fordert mehr Geld. Unsere bürgerlichen Kolleg:innen überlegen darum fieberhaft, wie sie trotz Schuldenbremse der Armee mehr Geld geben können. Das kann man wollen, es ist aber gegenüber dem Gesamt-Bundeshaushauhalt verantwortungslos und sicherheitspolitisch auch nicht zwingend. Es braucht nicht unbedingt mehr, sondern vor allem das Richtige!
Städte werden ausgebremst
Der Ständerat hat einer Motion von Peter Schilliger (FDP) zugestimmt, die im Strassenverkehrsgesetz festlegen will, dass bei «innerörtlichen verkehrsorientierten Strassen» Tempo 50 gelten soll. Die Begründung: Die Temporeduktionen in vielen Gemeinden und vor allem Städten würden chaotisch erfolgen. Dabei geht es vor allem darum, den Städten zu verbieten, Temporeduktionen durchzusetzen. Dies, obwohl bekannt ist, dass Tempo 30 ein sehr effektives Mittel zur Bekämpfung von Lärm an der Quelle ist. Darum wehrte sich auch der Städteverband explizit dagegen. Der Nationalrat hatte die Motion bereits überwiesen, durch die Mehrheit im Ständerat muss jetzt der Bundesrat eine Vorlage bringen.
Einige ähnliche Anträge gegen Tempo 30 wurden auch im Umweltschutzgesetz beschlossen. Zudem hat der Nationalrat gegen den ausdrücklichen Willen der Städte Zürich und Winterthur und des Kantons Zürich die Bauvorschriften so gelockert, dass es für die Bevölkerung zu einer massiven Verschlechterung des Lärm- und Gesundheitsschutzes kommt. Dies mit dem perfiden vorgeschobenen Argument, damit könnten dringend gebrauchte Wohnungen gebaut werden. Mit dem gleichen Gesetz sollen beim Flugverkehr eigene Grenzwerte für Gebiete eingeführt werden, die durch Fluglärm belastet sind. Das bedeutet, dass man ausgerechnet dort Ausnahmen beim Lärmschutz einführen will, wo der Lärm am schädlichsten ist. Absurd! Es zeigt sich, dass Umweltanliegen es in dieser Legislatur sehr schwer haben. Das Geschäft geht jetzt zurück in den Ständerat, der hier dringend nachbessern muss.
Es war keine einfache Session für sozialdemokratische Anliegen – und genau darum bleiben wir dran!