Diese drei Wochen waren wenig sommerlich – hitzig ging es trotzdem zu und her. Anstatt uns in der Kuppelhalle zu prügeln, haben wir uns Wortgefechte geliefert. Darum hier unser Rückblick auf die Frühjahressession 2024:
Der Spardruck auf die Bildung bleibt bestehen
In der Botschaft zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation (BFI-Botschaft) formuliert der Bundesrat die Leitlinien, Ziele und Massnahmen seiner Bildungs- und Wissenschaftspolitik für die nächsten vier Jahre. Zum ersten Mal hat der Bundesrat für diese wichtige Bildungsbotschaft eine Vernehmlassung durchgeführt.
Nach der Vernehmlassungsphase wollte der Bundesrat erstmals seit Jahrzehnten die Mittel für die Berufs- und Weiterbildung, für Hochschulen und Forschung kürzen. Der Nationalrat hat den bundesrätlichen Abbauplänen im Bildungs- und Forschungsbereich nun aber eine Abfuhr erteilt und die 29,2 Milliarden Franken, welche der Bundesrat freigeben wollte, um 152,2 Millionen Franken aufgestockt.
Besonders erfreulich ist, dass sich der Nationalrat für eine Erhöhung der Gelder bei der Berufsbildung und Weiterbildung ausgesprochen hat. Leider wurde aber auch entschieden, dass es eine Änderung des Bundesgesetzes über die Eidgenössischen Technischen Hochschulen geben soll und die Studiengebühren für ausländische Studierenden zukünftig mindestens das Dreifache der Gebühren für Schweizer Studierenden betragen. Das Geschäft geht nun in den Ständerat mit der Hoffnung, dass die kleine Kammer nicht erneut Kürzungen vornimmt.
Hier findet ihr das Votum von Islam Alijaj zur BFI-Botschaft.
Der Weg zu einer progressiven Behindertenpolitik bleibt steinig
In dieser Session haben wir auch noch zwei wichtige Vorstösse in der Behindertenpolitik behandelt. Einerseits haben wir ein Postulat von Gabriela Suter angenommen, welches die Harmonisierung der Rechtsgrundlagen der Behindertenrechtskonvention fordert. Andererseits wurde eine Motion von Barbara Gysi leider abgelehnt, welche die Selbstvertretung stärken wollte mit der Anpassung der Mittelvergabe an die Behindertenorganisationen.
Parlament widerspricht EGMR-Urteil
Das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu den Klimaseniorinnen sorgte für viel Aufmerksamkeit und Kontroversen. Sowohl der Ständerat wie auch der Nationalrat haben jeweils eine kritische Erklärung dazu verabschiedet, die zum Ausdruck bringt, dass der EGMR seine Kompetenzen überschritten habe und die Schweiz zudem in der Klimapolitik alle Vorgaben erfülle.
Warum diese Erklärung höchst problematisch ist und sie sich eine fundiertere Berichterstattung und Auseinandersetzung mit dem Urteil wünsche, schreibt Jacqueline Badran in ihrer Kolumne in der Sonntagszeitung. Und Min Li Marti hielt in ihrem Votum fest, warum es falsch ist, einen Widersprich zwischen Demokratie und Menschenrechten zu machen.
Solidaritätsfonds für Verdingkinder
Die fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und das Schicksal der Verdingkinder sind ein dunkles Kapitel in der Schweizer Geschichte. Als Gegenvorschlag zur Wiedergutmachungsinitiative wurde ein Solidaritätsfonds geäuffnet, aus welchem den Opfern mit einem finanziellen Beitrag eine kleine Wiedergutmachung für das erlittene Elend ausgerichtet werden soll. Dabei wurde festgelegt, dass diese steuer- und betreibungsrechtlich den Opfern nicht zum Nachteil gereichen darf, und auch nicht zu Kürzungen bei der Sozialhilfe oder bei Sozialversicherungen führen dürfe.
Die Stadt Zürich hat im vergangenen Jahr einen kommunalen Fonds für Verdingkinder beschlossen. Das Problem ist, dass die dort gesprochenen Beiträge nicht wie die nationalen Beiträge behandelt werden. Aus diesem Grund hat Min Li Marti in der Rechtskommission eine Kommissionsinitiative eingereicht, die diese kommunalen Beiträge rechtlich den eidgenössischen Beiträgen gleichstellen soll.
Der Nationalrat hat dieser Vorlage in der Sommersession einstimmig zugestimmt (Votum Min Li Marti). Wenn dies auch der Ständerat tut, gilt diese Regelung rückwirkend für die Begünstigten des Zürcher Fonds. Das ist wichtig, damit diese Personen, die oft in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen leben, auch wirklich den vollen Betrag erhalten. Es ist zu hoffen, dass die Stadt Zürich damit nicht allein bleibt und andere Städte oder Kantone diesem Beispiel folgen.
Abstimmung Prämieninitiative
Leider hat es nicht für ein Ja zur Prämien-Entlastungs-Initiative gereicht. Die Prämienexplosion wird ungehindert weitergehen und viele Menschen belasten.
Wir werden uns weiterhin für höhere Prämienverbilligungen und für wirksame Massnahmen gegen die Profitmacherei im Gesundheitswesen engagieren. Die Kantone sind mit dem Gegenvorschlag immerhin in der Pflicht, ihre Mittel für die Prämienentlastung zu erhöhen. Die SP wird zudem eine Initiative für eine öffentliche Krankenkasse lancieren. Der teure und ineffiziente Pseudo-Wettbewerb zwischen den privaten Krankenkassen, welcher den Prämienanstieg mitverantwortet, muss endlich gestoppt werden.
Israel/Palästina: ein parlamentarisches Seilziehen
Der fürchterliche Gaza-Krieg und die angespannte Lage im Nahen Osten beschäftigten uns auch in dieser Session. Angesichts des anhaltenden Krieges und der schwersten Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung durch die Netanjahu-Regierung und die Hamas, ist ein neuer Friedensprozess dringender denn je.
Mit einem Postulat wollte Fabian Molina den Bundesrat zu einer aktiveren Rolle im Konflikt bewegen und verlangte die Anerkennung Palästinas als Staat, unter der Bedingung der Freilassung aller israelischen Geiseln (Votum von Fabian Molina). Der Vorschlag wurde leider deutlich abgelehnt.
Auch das Seilziehen um die Unterstützung der Schweiz für UNRWA ging weiter. Angesichts der katastrophalen humanitären Lage im Gaza-Streifen beschloss die Aussenpolitische Kommission zwar, der Freigabe von zehn Millionen Franken unter Auflagen zuzustimmen. Der Nationalrat wies aber – gegen unseren Willen – einen Vorstoss, der die Unterstützung der UNRWA sofort und für immer beenden will, der Kommission zur Prüfung zu. Der Druck von rechts gegen die humanitäre Hilfe in Gaza bleibt also hoch.
Eine gute Nachricht war hingegen, dass nach dem Ständerat auch der Nationalrat einem Vorstoss zugestimmt hat, in dem der Bundesrat aufgefordert wurde, die iranische Zivilgesellschaft in ihrem Kampf für Frauen- und Menschenrechte zu unterstützen. Insbesondere vor dem Hintergrund der destabilisierenden Rolle des iranischen Regimes auf die Region, ist das ein wichtiges Zeichen, wie Fabian Molina in seinem Votum ausführte.
Haarsträubende Entwicklungen bei den Armeefinanzen
Die Armee war ebenfalls ein grosses Thema in dieser Session. Im Ständerat wurde die Armeebotschaft beraten. Und die «chambre de réfléxion» tut Schauerliches: Ein Antrag von Benjamin Mühlemann, der 4 Milliarden Franken mehr für die Armee verlangt, erhielt eine Mehrheit. Doch damit nicht genug: Dieses Geld soll zur Hälfte (!) bei der Entwicklungshilfe kompensiert werden. Der Antrag ist ein Schuss aus der Hüfte, wurde weder in der Kommission beraten, noch konnte die Verwaltung dazu Stellung nehmen. Verantwortungsvolle Politik sieht anders aus. Wir werden alles versuchen, für die Debatte im Nationalrat während der Herbstsession das IZA-Budget zu retten.
Beerdigt wurde auch der sogenannte Armee/Ukraine-Deal im Ständerat. Mit Hilfe eines Fonds hätte die Armee bereits 2023 10,1 Milliarden Franken erhalten. Zugleich wären aber auch 5 Milliarden Franken für die Ukraine-Hilfe bereitgestellt worden, ohne das IZA-Budget zu belasten. Eine verpasste Chance.
Asyl: Gipfel der Unmenschlichkeit
Die Auswirkungen des Rechtsrutschs in der aktuellen Legislatur zeigen sich in der Asylpolitik besonders deutlich. Themen und Positionen, die bisher praktisch nur von der SVP aufgebracht und unterstützt wurden, sind mittlerweile mehrheitsfähig, weil migrations- und asylpolitisch kein Blatt mehr zwischen SVP und FDP passt und die Mitte sich von der SVP vor sich hertreiben lässt. Entscheide über grundlegende flüchtlingspolitische Prämissen drohen plötzlich in Frage gestellt zu werden.
Mit einem Zufallsentscheid von 92:93 Stimmen lehnte der Nationalrat zum Beispiel eine Motion der SVP ab, welche verlangt, dass Afghaninnen kein Asyl mehr erhalten sollen. National- und Ständerat haben mehrere Vorstösse mit absolut unbrauchbaren Forderungen im Zusammenhang mit eritreischen Flüchtlingen mit deutlicher Mehrheit überwiesen – etwa die Idee, Ausschaffungsverfahren in ein Drittland auszulagern oder dass die Flüchtlingseigenschaft leichter aberkannt werden kann (Votum von Céline Widmer).
Der Gipfel der Unmenschlichkeit: just zu dem Zeitpunkt, als der Präsident des ukrainischen Parlaments im Bundeshaus war, stimmte der Ständerat einer SVP-Motion zu, welche den Schutz der ukrainischen Flüchtlinge teilweise aufheben will. Das Parlament handelt asylpolitisch völlig unmenschlich und an der Realität vorbei.
Wir hatten also genug Gründe, wütend zu sein über die Entwicklungen im Parlament – und wir versprechen, dass wir dranbleiben, um für den Kanton Zürich Werte des Zusammenhalts ins Bundeshaus zu bringen.